Einmal Berlin-Hiddensee und zurück: 460 Seemeilen Sommerglück

Einmal Berlin-Hiddensee und zurück: 460 Seemeilen Sommerglück

Berlin-Stettin-Sellin-Stralsund-Hiddensee-Karslhagen-Swinemünde-Stettin-Berlin

Wir verlassen Berlin dieses Jahr ausnahmsweise mit der Hoffnung, dass unser Motor durchhalten wird – und tatsächlich sorgt unsere neue (überholte) Einspritzpumpe dafür, dass unser Boot ohne Pannen die Wasserstraßen nach Stettin hinauffahren kann. Und obwohl wir es schon so oft gemacht haben, ist es immer noch aufregend, immer noch eine Riesenfreude, im Schiffshebewerk in Finow hinunterzufahren, immer noch ein Nervenkitzel, den Mast auf dem Dammscher See in Stettin zu stellen, immer noch ein Heimkehrerlebnis, die Odermündung zu verlassen und in die Weite des Stettiner Haffs einzulaufen.

Diesmal haben wir fünf bis sechs Windstärken aus NW, was stundenlang die schwierigen, stampfenden kurzen Wellen des Haffs bedeutet, bis wir endlich das Fahrwasser verlassen können, um nach Ueckermünde abzubiegen. Das Wetter klart auf, und wir fahren 5 bis 6 Knoten nur mit Genua bis vor die Mole – ein toller Abschluss eines harten Tages auf dem Wasser!

Abendstimmung Ueckermünde

Vom Haff aus geht es nach Norden durch den Peenestrom und das wunderbare Revier des Achterwassers, mit dem verschlafenen Lassan backbords und der inneren Küstenlinie Usedoms auf der Steuerbordseite. In Krummin legen wir einen Zwischenstopp ein, um den Sonnenuntergang und die Schönheit der umliegenden Landschaft zu genießen. Am nächsten Morgen segeln wir rechtzeitig zur Brückenöffnung nach Wolgast und machen Halt ein paar Seemeilen flussaufwärts in Peenemünde, geschichtsträchtig, hässlich und faszinierend in gleichen Maßen. Wir bestaunen aber das dort liegende russische U-Boot, die Raketenfabrik und das DDR-Marinemuseum nur von außen, und schauen uns den “Mittelalter-” bzw. “Wikingermarkt” etwas näher an. Ob die Wikinger wirklich Crêpes gegessen haben und Rockmusik gehört haben? Ein Dudelsackspieler trinkt Gin Tonic und tanzt auf unserem Tisch. Es wird – wider Erwarten – ein lustiger Abend!

Der nächste Tag führt uns in südwestlicher Richtung über den Greifswalder Bodden nach Sellin – ein fantastischer Segeltag durch die engen Fahrwasser des nördlichen Peenestroms, zwischen den beiden Gefahrenstellen Landtief und Böttchergrund, weiter an Thiessow, Mönchgut und Gager vorbei, um dann die fjordartige Bucht der Having Richtung Nordosten hochzukreuzen. Am späten Nachmittag erreichen wir den Selliner See, ein Höhepunkt unserer bisherigen Reise. Hinter uns glitzert die Sonne auf dem See, regelmäßig hören wir das melancholische Pfeifen vom Rasenden Roland, und nur wenige hundert Meter weiter nördlich liegt die äußere Küstenlinie der Ostsee.

Wir bleiben einen weiteren Tag in Sellin, um das bereits vertraute Terrain erneut mit dem Rad zu erkunden, und fahren dann weiter nach Stralsund, mit einer seltsamen Kombination aus Windstille über dem Greifswalder Bodden und einer plötzlichen 5-6 Beaufort von einer ankommenden Gewitterfront, während wir den Strelasund hinauffahren. Und obwohl das Internet die Öffnungszeit der Ziegelgrabenbrücke mit 16:30 angibt, öffnet die Brücke um 15:20, was wir gerade so schaffen, um eine Stunde früher als erwartet in Stralsund anzukommen.

Der nächste Tag ist heiß und windstill, aber wir verlassen Stralsund trotzdem Richtung Norden, um nach Hiddensee zu fahren. Als wir ankommen, ist der Yachthafen von Vitte bereits überfüllt, aber wir schaffen es, uns in einen “Fächer” am Ende des innersten Steges zu quetschen. Und natürlich bedeutet dieses Hineinquetschen, dass wir sofort mit unseren Nachbarcrews ins Gespräch kommen und eine Art spontane und verschwörte Gemeinschaft am Ende des Steges bilden. Es herrscht eine lockere Kameradschaft, eine Offenheit und Hilfsbereitschaft, die typisch für die Segler und Seglerinnen der deutschen Ostseeküste ist, und ganz besonders typisch für Hiddensee zu sein scheint. Wir unterhalten uns mit ein paar Seglern aus der Schweiz, die wir unterwegs überholt hatten. Wie kommt es, dass sie die Ostsee dem Mittelmeer vorziehen, das doch viel näher liegt? “Uns gefällt die Atmosphäre”, sagt einer. “Die Leute sind weniger von oben herab. Mehr auf Augenhöhe”.

Hiddensee ist wie immer ein Hit, und für uns ganz besonders, da wir einen spontanen musikalischen Auftritt – mit einem Feuerkünstler! – in der neuen Hafenkneipe haben. Das Wetter ist aber brüllend heiß, und wir verschieben unsere Abreise um einen Tag, um ein Gewitter abzuwarten. Unser Urlaub ist schon zur Hälfte um, und wir sind schon dabei, unsere Rückreise nach Stettin zu planen. Die Nordroute über Kap Arkona, Sassnitz, Swinemünde wäre unsere Lieblingsvariante, aber die Windprognose gibt es nicht her. Wir nutzen den Nordwind und lassen uns wieder nach Stralsund treiben, und nehmen die Ziegelgrabenbrücke früh um 08:20 am nächsten Tag.

Und dann, ein unerwarteter Highlight des Törns: ein böiger Wind, zwischen 4 und 20 Knoten, aus Nordwest, fegt den Strelasund runter. Strahlend blauer Himmel, ein herrlicher Sommermorgen. Das Wasser glitzert, wir rasen den Sund entlang und hinaus auf den Greifswalder Bodden. Unser Ziel ist Karlshagen im Peenestrom, und nach und nach baut sich die berüchtigte Boddenwelle hinter uns auf. Die Überfahrt wird schaukelig, und dauert dann doch ziemlich lange, ist aber trotzdem toll. Wir kommen in Karlshagen an und leihen uns gleich 2 Fahrräder aus, um an den Strand zu fahren, und die Ostsee mal wieder vom Usedomer Strand aus zu bewundern. Am Abend gibt es Harfenmusik mit Perkussion und Gesang in der Strandmuschel. Unserer Törn wird, zumindest vom musikalischen her, langsam ziemlich exotisch!

Am nächsten Tag sollte es eigentlich weitergehen Richtung Wolgast und Mönkebude, aber der Wetterbericht bietet unverhofft eine andere Möglichkeit: Vormittags eine 3 aus NW, dann Windstill bzw. umlaufende Winde um die Mittagszeit, danach zunehmend 3 bis 4 aus Nord. Ideale Bedingungen also, um die Ostseeseite von Usedom entlang zu segeln, bis nach Swinemünde. Also, Plan umgeschmissen, aussenrum statt Peenestrom, um 10 legen wir ab und segeln hart am Wind hoch zur Insel Ruden, wo der Wind dann tatsächlich einschläft. Die Ostsee ist spiegelglatt und wir fahren eine Weile mit dem Motor, bis der Wind erneut auffrischt. Und ab da, wirklich tolle Segelbedingungen. Bei 3 bis 4 Windstärken läuft unser kleiner Langkieler zur Höchstform auf, und wir segeln nah an Bansin, Heringsdorf und Ahlbeck vorbei bis nach Swinemünde. Dort machen die neuen Molen die Ansteuerung der alten Hafeneinfahrt etwas unübersichtlich wenn man vom Westen kommt, aber wir orientieren uns an der alten Windmühlenbake und folgen den anderen Segelschiffen in die Swina ein.

In der großen Marina an der Westseite des Flusses herrscht ziemliches Chaos. Das sonst gültige Belegungssystem (grün=verfügbar, rot=belegt) gibt es hier nicht. Alles scheint “reserviert” zu sein. Ein freundlicher polnischer Segler macht uns auf einen freien – aber leider zu kleinen – Platz an einer Kaimauer aufmerksam. Wir fragen die junge Crew einer benachbarten Yacht, ob sie evtl. ein Meter weiter nach hinten verholen könnten, damit wir dazwischen können. “Nein, das geht nicht”. Wir stehen ziemlich fassungslos da. “Wir müssen morgen früh raus”. “Ja und?”. “Wir müssten euch wecken.” “Ja und?”. Es wird klar, sie wollen uns einfach keinen Platz machen, haben wohl Angst um ihr schickes Boot, weiß der Teufel, was mit denen los ist. Da rettet uns eine raue Stimme von nebenan. “Kommt doch zu uns! Ihr könnt im Päckchen liegen, kein Problem!” Was wir dann auch prompt tun. Die beiden alten Segler aus Stralsund sind entsetzt über die mangelnde Hilfsbereitschaft der jungen Nachbarn, heißen uns aber sehr willkommen und wir beschließen, gleich zwei Nächte in Swinemünde zu bleiben. Und wer Swinemünde (polnisch Świnoujście), nicht kennt: Sie ist eine leicht verrückte, aber irgendwie tolle Stadt, die alles hat – vom Strandurlaub mit Ballermann-Feeling und Hilton Hotel, zu einer alten Stadtkern mit Plattenbaucharme, vom einem sehr umtriebigen Industriehafen zum höchsten Leuchtturm der Ostseeküste. Kurzum, sie hat sehr viele Facetten. Und der offene Grenzübergang zum nahgelegenen Ahlbeck bietet eine schöne Möglichkeit, die Küste per Rad zu erkunden. Wir fragen unsere Nachbarn, ob sie auch in Ahlbeck waren. “Kommt man da mit dem Schiff hin?”. Nee, leider nicht. “Na dann müssen wir da auch nicht hin”. Ob sie überhaupt das Boot verlassen haben? “Ja, einmal. Kippen waren alle.” Oldschool halt.

Von Swinemünde fahren wir am letzten Segeltag Richtung Stettin. Die Swina bzw. Kanał Piastowski (ehemals Kaiserfahrt) wird von schweren Frachtschiffen und Passagierschiffen befahren, und unterwegs müssen wir ziemlich Acht geben, um diesen aus dem Weg zu gehen. Im Stettiner Haff ist aber tote Hose – schon wieder Windstille! Das ändert sich erst in der Odermündung, als wir an der Insel Chełminek vorbeifahren. Ab dort können wir wieder eine schöne Strecke Schmetterling fahren, bis die Oder die Richtung wechselt und wir den Kurs bzw. die Segelstellung ändern müssen. Danach nehmen wir die erstmögliche Einfahrt in den Dąbie / Dammscher See, von wo aus wir am späten Nachmittag wieder unseren polnischen “Heimathafen” – den akademischen Segelverein JKAZS – anlaufen.

Vor uns steht wieder das vertraute Prozedere: Mast legen, zweieinhalb Tage Fluss- bzw. Kanalfahrt bis zum Tegeler See. Es sind viele Crews vor Ort, die den Mast legen (lassen) wollen. Nicht alle sind geduldig. Wir lassen uns die Laune nicht vermiesen. Und sind sogar zufällig dabei, als der Mast von einer Najad 36 beim Legen aufs Deck kracht – der lange Mast war am Fußende ungenügend gesichert, die Schlaufe vom Kran war unter den ersten Salingen befestigt. Da wirkte die Überlänge des Mastes wie ein Hebel und ließ das Fußende in die Höhe schnellen. Zum Glück ist niemandem was passiert und die Schäden waren minimal. Danach waren wir dran. Ihr könnt euch vorstellen, wie vorsichtig wir dann an die Sache rangegangen sind!

So, das war es von unserem Bericht. Ein toller Törn, insgesamt 460 Seemeilen, in einem sehr vertrauten aber immer wieder schönen und aufregenden Revier. Wir freuen uns schon aufs nächste Jahr. Entzugserscheinungen haben wir aber jetzt schon!

Mike & Jenka

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