Gezeitentraining im Ärmelkanal

Gezeitentraining im Ärmelkanal

Es ist zwar schon ein paar Wochen her, aber ich habe es noch frisch in Erinnerung. Vom 7. bis 14. Mai nahm ich an einem Segeltörn entlang der Südküste Englands teil, der von einer Gruppe namens Sail Britain organisiert wurde. Ich selbst konzentrierte mich in dieser Woche auf eine Vertiefung meiner Gezeitenkenntnisse und auf die Routenplanung, und wir hatten das Glück, zwei Ausbilder von der RYA („Royal Yacht Association“) an Bord zu haben. Das Gebiet, in dem wir segelten, ist eines der anspruchsvollsten Englands, zumindest was die Gezeitenbedingungen angeht, und der Zusammenfluss der Gezeitenströme vor Portland Bill – „Englands Kap Hoorn“ – erforderte auf jeden Fall eine sorgfältige Planung.

Gezeitenströme um Portland Bill

Wir starteten unseren Törn im malerischen Hafen von Lymington am Solent – wo es mehr Segelboote als Menschen zu geben scheint – und fuhren in Richtung Westen, entlang der so genannten “Jurassic Coast”, einem wunderschönen Abschnitt mit Klippen und Stränden, der in der Grafschaft Dorset beginnt und bis nach Land’s End reicht. An diesem ersten Tag wehte ein leichter Ostwind von 2 bis 3, der im Laufe des Tages langsam auf Süd drehte – eine Änderung, die der Wetterbericht ursprünglich für den späteren Verlauf der Woche vorgesehen hatte. Schon an diesem ersten Tag ließ die Veränderung der Bedingungen unseren Skipper seine Planung überdenken. Wenn der Wind weiter auf West drehen und auf 5 bis 6 zunehmen würde, würden wir bei der Umrundung einer der tückischsten Landzungen Großbritanniens frontal auf auftürmende Atlantikwellen zusteuern und dann 50 Seemeilen weit quer durch die langgestreckte Biegung der Lyme Bay fahren, ohne einen einzigen potenziellen Schutzhafen auf der gesamten Strecke zu haben.  Unsere Crew war neu zusammengestellt und von der Erfahrung her sehr gemischt. Kein Skipper wäre bereit, so ein Risiko einzugehen.

Unsere Route – Lymington nach Torquay, über Brixham, Dartmouth und Salcombe

Nach einer Nacht vor Anker in der wunderschönen Warbarrow Bay wurde die Besatzung in zwei Wachen aufgeteilt. Die erste Wache sollte in der Morgendämmerung aufstehen und in Richtung Portland Bill auslaufen. Die zweite sollte ausschlafen und in der Lyme Bay übernehmen. Ich hatte das Glück, die erste Wache zu übernehmen. Wir verließen den Schutz der Warbarrow Bay um 5.00 Uhr morgens, um die einsetzende Flut auszunutzen. Sobald wir aus dem Schutz der Bucht heraus waren, herrschten ausgezeichnete Bedingungen: Eine Sichtweite von mindestens 10 Meilen, eine 4 aus Südost und 2 Meter hohe Wellen. Unser Boot – die Merlin – war eine Sigma 41 mit Regattatakelung, sprich übergroßem Mast und zwei Backstagen (sog. „flying backstays“) , die je nach Kurs abwechselnd gelockert bzw. gespannt wurden. Mit der Gezeitenströmung machten wir sieben bis acht Knoten, als wir Portland Bill umrundeten. Wir hatten unseren Kurs so geplant, dass wir das Gebiet der Gezeitenturbulenzen, das von den Einheimischen als „the Race“ bekannt ist, weiträumig umfahren konnten. Dieses Gebiet ist dafür bekannt, dass kleine Boote, die es wagen, dort hineinzufahren, von Gezeitenströmen von bis zu 5 Knoten erfasst werden und auf der Stelle stehen bleiben, oder gar rückwärts fahren, wenn der Motor nicht ausreicht.

Unsere Planung wurde jedoch mit einem tollen Segeltag und dem Besuch einer Gruppe von Delfinen belohnt!

Delfinen im Ärmelkanal

Die Reise hatte für mich persönlich eine besondere Bedeutung, denn Portland ist der Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Ich habe dort immer noch Familie, auch wenn wir etwas zu weit von der Küste entfernt waren, als dass ich sie hätte winken sehen können!

Ein weiterer Höhepunkt – oder vielleicht auch Tiefpunkt – der Woche war die Einfahrt nach Dartmouth. Die Einfahrt in den Fluss Dart hat auf beiden Seiten hohe Klippen und auf der Ostseite der Mündung tückische Felsen. Wir waren den ganzen Tag über hart gesegelt und hatten gerade begonnen, das Großsegel zu bergen, als uns ein doppeltes Unglück passierte: Eine der Latten des Großsegels löste sich und ging über Bord, und der Überhitzungsalarm für den Motor ging los. Wir trieben ohne Motor und vorübergehend ohne Segel Richtung Land! Natürlich hat der Skipper schnell die Fock gehisst und uns weiter aufs Meer hinausfahren lassen, um etwas entspannter über den Motorausfall sprechen zu können. Einige Crewmitglieder waren über das doppelte Unglück etwas bestürzt, aber da ich in den letzten Jahren so viele Motorprobleme auf meinem eigenen Boot erlebt hatte, kam mir die Situation sehr vertraut vor! Wie sagt der Engländer so gerne: Wenn alles schiefläuft – make and drink a cup of tea! Will heissen: Erstmal Nerven beruhigen, Ruhe ins Boot bringen, und bloss keine Panik!

Wir waren jedoch nicht in der Lage, den Motor sofort zu reparieren und sahen uns daher gezwungen, unseren Kurs zu ändern, um einen geschützten Ankerplatz zu finden, an dem wir nicht nur unter Segel ankern, sondern auch den aufkommenden Sturm abwarten konnten.

In den folgenden Tagen konnten wir das Problem diagnostizieren – ein Luftleck in der Seewasserpumpe. Shit happens, wie man so schön sagt.

So, jetzt mach ich Schluss und lasse euch mit ein paar Bildern von meiner Woche in Südwest-England zurück. Es ist ein wunderbares Segelrevier, eine fantastische Landschaft und ein fast subtropisches Klima.

Und das Segeln? Auf jeden Fall sowohl anspruchsvoll als auch lohnend!

Ahoi & Gruß
Mike H.

 

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